Ich möchte gern zwei Fragen stellen:
In dem üblichen Fragebogen zu "vividness of visual imagery" soll man sich vorstellen eine Person, einen Sonnenaufgang, ein Ladengeschäft und eine Landschaft. Bei mir spielt das Objekt überhaupt keine Rolle; ich sehe einfach gar nichts. Warum wurden diese vier Dinge ausgewählt als Objekt der Vorstellung? Gibt es Personen, bei denen es da große Unterschiede gibt? Die also z.B. eine Person sich gut vorstellen können, aber keine Landschaft?
Wie ist das bei Euch?
Ich habe auch kein Vorstellungsvermögen für Geräusche, Geschmack oder den Tastsinn. (Ich habe mal in einem Buch diesen Test mit der Zitrone gelesen, wo man sich vorstellen soll, in eine Zitrone zu beißen, und wo bei vielen Menschen offenbar eine echte Reaktion geschieht. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was die Autorin eigentlich sagen wollte ....) Wie ist das bei Euch? Und wie ist das generell - gibt es Leute, die sich zwar keinen Apfel vorstellen können, aber sich vorstellen können, wie ein Apfel schmeckt und wie es sich anfühlt, in einen Apfel zu beißen?
Ich kann mir auch gar nichts vorstellen, ich höre auch meine Stimme nicht, wenn ich etwas lese, so wie ich auch keine anderen Töne, oder Geräusche im Kopf höre. Ich rieche nichts, schmecke nichts. Darüber bin ich auch sehr froh. Wie können Menschen mit solchen Fantasien, Realität und Fantasie auseinander halten? Das muss doch ziemlich schwierig sein.
Bei mir kam das Thema Aphantasie tatsächlich zum allerersten Mal in einem Fanstasy-Rollenspiel beim Thema Gedankenlesen und Gedankenübertragung auf.
Denn bei mir betrifft die Aphantasie alles Sinne und ich habe auch keine "innere Stimme" die irgendwas sagt. Wenn ich reden oder schreiben will, dann kann ich mir explizit und absichtlich Worte in meinem Kopf zurechtlegen. Genauso, wie ich auch weiß, was ich tue, wenn ich einen Stern oder einen rechten Winkel auf ein Blatt bringen will - aber ich denke nicht in Sinneseindrücken und auch nicht in Sprache. Gedanken sind halt Gedanken, ein ganz eigenes abstraktes Ding, das von all diesen konkreten Sachen komplett losgelöst ist. Wenn ich an eine Zitrone denke, dann weiß ich, dass es das Wort "Zitrone" gibt, genau wie ich weiß, dass sie gelb und oval mit kleinen Dellen ist, sauer und fruchtig schmeckt und riecht, dass es sich um eine Frucht handelt, die an Bäumen wächst und viel Vitamin C enthält, und vieles, vieles mehr - aber nichts davon sehe, höre, rieche oder schmecke ich - auch das Wort selbst nicht.
Es macht für mich keinen Unterschied, ob es um ein Lied, ein Objekt, eine Landschaft oder eine Person geht, ich habe keine inneren Sinneseindrücke, egal von welchem Sinn.
Dafür sind auch komplexere Dinge wie z.B. "Spielregeln für Mensch-ärger-dich-nicht" für mich genauso Gedanken wie Zitronen. Auch wenn es für "Zitrone" ein kurzes Wort gibt, während "Spielregeln für Mensch-ärger-dich-nicht" mehrere Worte brauchen, macht das in meinem Kopf keinen Unterschied, beide sind jeweils ein Gedanke. Und da ich problemlos mit einem Gedanken die verschiedenen Regelvarianten mit oder ohne Rauswurfzwang, mit oder ohne sicheren Feldern in einem Gedanken erfassen kann, ohne das alles Wort für Wort durchgehen zu müssen, führte das zu Diskussionen darüber, wie viel Informationen in 30 Sekunden Gedankenübertragung denn überhaupt übertragen werden können, während das Thema "du kannst keine Bilder im Kopf sehen" erst Mal hinten angestellt wurde.
Hallo in die Runde,
wirklich interessant, wie unterschiedlich alles ist. Ich höre Geräusche sehr intensiv, kann sie mir auch hinterher vorstellen. Ich würde als Zeuge einen Täter niemals wiedererkennen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Stimme.
Noch was mit der Frage, wie das bei euch so ist: Wenn ich ein Buch lese, höre ich den Erzähler mit einer Stimme sprechen, die mir passend erscheint. Also zum Beispiel, wenn es ein Bayer ist, redet er irgendwie im Dialekt ;o). Für alle anderen Figuren gibt es dann "passende" Stimmen - fast wie ein Hörspiel. Habt ihr das auch?
Bei bewegten Bilder ist es so, dass ich praktisch kaum hinsehe, aber mir die Sprache, die Geräusche und die Filmmusik sehr wichtig sind. Generell schaue ich Filme aber auch nur meinem Mann zu liebe. Wobei das aber eher daran liegt, dass die Filme so einfach gestrickt sind, dass man nach 2 Minuten weiß, wie die Handlung verlaufen wird.
Und als Nebenbemerkung: ich verknüpfe dann auch die Synchronstimme mit einem bestimmten Schauspieler. Finde es total daneben, wenn der auch noch andere Menschen synchronisiert oder sich der Sprecher ändert. Kennt ihr das?
Bei Geruch und Geschmack bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher. Müsste ich mal länger drüber nachdenken.
Bei mir betrifft die Aphantasie vor allem Bilder. Gerüche und insbesondere taktile Reize kann ich mir sehr gut vorstellen. Vor vielen Jahren hat mir mal jemand einen Versuch mit mir gemacht. Ich sollte ein Objekt auf meinem Tisch auswählen und es so gut wie möglich in Textform beschreiben. Dann sollte ich die Augen zumachen und es taktil erfassen und beschreiben. Der Text, der die Berührung beschrieb war deutlich länger als der Text, der den visuellen Eindruck beschrieb. Ich habe daraus geschlossen, dass irgendwas in meinem Hirn visuelle Eindrücke schlechter verarbeitet als taktile. Inwieweit das einen Zusammenhang mit Aphantasie hat, kann ich allerdings nicht beurteilen.
Hallo Gamsli,
entschuldige bitte die späte Antwort, auf der Arbeit ist gerade wirklich viel los :) Warum wurden diese vier Dinge ausgewählt als Objekt der Vorstellung? Gibt es Personen, bei denen es da große Unterschiede gibt? Die also z.B. eine Person sich gut vorstellen können, aber keine Landschaft?
Der von dir erwähnte Fragebogen ist der Vividness of Visual Imagery Questionnaire [1], den wir auch auf dieser Webseite als Test anbieten. Tatsächlich gibt es verschiedene Gründe, warum man mehrere Items verwendet, alle laufen aber darauf hinaus, dass man so genau wie möglich messen und den Messfehler reduzieren möchte. Wir gehen davon aus, dass Personen ihr Vorstellungsvermögen bei manchen Szenarien über- und in anderen Szenarien unterschätzen, da sie kein Vergleichsniveau zu anderen Personen haben. Wenn wir jetzt mehrere Szenarien abfragen, mittelt sich diese Über- und Unterschätzung irgendwann aus. Das funktioniert übrigens auch beim Schätzen der Anzahl von Erbsen in einem Glas. Je mehr Leute man fragt und deren Antworten mittelt, desto genauer werden die Ergebnisse.
Ein anderer Grund ist, dass wir uns nur vorstellen können, was wir schon einmal gesehen haben. Wenn eine Person noch nie einen See gesehen hat, wird sie sich diesen auch nicht vorstellen können. Das ist zwar sehr unwahrscheinlich, zur Sicherheit verwenden wir daher aber viele verschiedene Szenarien. So können wir über viele verschiedenen Situationen generalisieren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sich die Werte pro Aufgabe nicht allzu sehr unterscheiden werden. Um sicher zu gehen, messen wir aber trotzdem mehrmals.
Ich habe auch kein Vorstellungsvermögen für Geräusche, Geschmack oder den Tastsinn. (Ich habe mal in einem Buch diesen Test mit der Zitrone gelesen, wo man sich vorstellen soll, in eine Zitrone zu beißen, und wo bei vielen Menschen offenbar eine echte Reaktion geschieht. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was die Autorin eigentlich sagen wollte ....) Wie ist das bei Euch?
Der Vividness of Visual Imagery Questionnaire misst nur das visuelle Vorstellungsvermögen, es gibt aber auch noch andere Messinstrumente, die das Vorstellungsvermögen in allen Sinnen messen, zum Beispiel den Plymouth Sensory Imagery Questionnaire [2]. Für die Aphantasie sind alle Kombinationen des fehlenden Vorstellungsvermögens denkbar, zum Beispiel ein fehlendes auditives Vorstellungsvermögen, aber kein fehlendes visuelles Vorstellungsvermögen [3]. Aus diesem Grund schlagen wir auch vor, Aphantasie genauer zu charakterisieren, zum Beispiel als visuelle, auditive oder globale Aphantasie [4].
Quellen:
[1] Marks, D. F. (1973). Visual imagery differences in the recall of pictures. British journal of Psychology, 64(1), 17-24.
[2] Andrade, J., May, J., Deeprose, C., Baugh, S. J., & Ganis, G. (2014). Assessing vividness of mental imagery: The Plymouth sensory imagery questionnaire. British Journal of Psychology, 105(4), 547-563.
[3] Hinwar, R. P., & Lambert, A. J. (2021). Anauralia: The silent mind and its association with aphantasia. Frontiers in Psychology, 12, 744213.
[4] Monzel, M., Mitchell, D., Macpherson, F., Pearson, J., & Zeman, A. (2022). Proposal for a consistent definition of aphantasia and hyperphantasia: a response to Lambert and Sibley (2022). Cortex, 152, 74-76.
Hallo, bei mir betrifft es auch alle Sinne. Ich kann mir nicht vorstellen in einer Backstube zu stehen geschweige, dass ich die Brötchen rieche. Ich höre auch keine verschiedenen Stimmen z.B. von meiner Mutter oder Musik. Mein Kollege hat mir auch erzählt, dass wenn er an eine Umarmung von xy denkt, dann spürt er sie richtig. Alles das kann ich nicht nachvollziehen. Mit der Zitrone allerdings verhält es sich bei mir so, dass wenn ich daran denke, zwar kein Geschmack kommt, aber trotzdem dieses Gefühl im Mund entsteht. Ich bin gespannt, wie ihr das wahrnehmt.