Mich würde interessieren, wie andere Menschen mit Aphantasie mit dieser Thematik umgehen. Sicherlich gibt es Abstufungen, wie ausgeprägt die Aphantasie bei einem sein kann. Dementsprechend sind künstlerisch-kreative Aktivitäten auch bei dem einen oder anderen unterschiedlich ausgeprägt. (1) Gibt es aphantastisch veranlagte Menschen, die gut zeichnen können oder vielleicht sogar in einem künstlerisch-kreativ-gestalterischen Beruf tätig sind? (2) Können Menschen mit nahezu fehlendem bildhaften Vorstellungsvermögen gut realistisch und in 3D zeichen, malen, gestalten? (3) Wie entstehen kreative Motive bei Aphantasikern, wenn sie nicht vor dem inneren Auge erscheinen und so immer wieder als Blaupause zu Hilfe genommen werden können? Wird konstruiert oder entstehen die Bilder während des Schaffensprozesses? (4) Welche "Schaffenstechniken" gibt es, um als Aphantasiker eine befriedigende Zeichnung hinzubekommen? (5) Gibt es eine Tendenz, ob Aphantasiker eher gegenständlich und realistisch zeichnen/ malen oder doch eher abstrakt aktiv sind, wenn sie sich kreativ betätigen?
Ich fühle mich selbst zu leuchtenden Fraben in abstrakten Bildern hingezogen und konnte mich bisher auch selbst nur zufriedenstellend in abstrakter Weise künstlerisch ausdrücken. Realistische Zeichnungen und Gestaltugen habe ich einfach nicht hinbekommen. Egal mit welcher Technik ich es auch versucht habe. Dies als Hintergrund zu meinen Fragen.
Es gibt eine interessante Studie von Bainbridge et al. (2021), die das Zeichnen bei Aphantasie untersucht haben [1]. Sie kommen zu folgendem Schluss: "Aphantasic participants recalled significantly fewer objects than controls, with less color in their drawings, and an increased reliance on verbal scaffolding. However, aphantasic participants showed high spatial accuracy equivalent to controls, and made significantly fewer memory errors. These differences between groups only manifested during recall, with no differences between groups during the matched perceptual condition. This object-specific memory impairment in individuals with aphantasia provides evidence for separate systems in memory that support object versus spatial information."
Grob bedeutet das, dass Aphantasisten und Nicht-Aphantasisten ähnlich gut abzeichnen können. Erst bei dem Zeichnen aus dem Gedächtnis kommt es zu unterschieden. Diese Unterschiede sind aber vor allem auf Farben und Details zurückzuführen, nicht aber auf die räumliche Komposition. Aus diesem Grund scheinen sich räumliches und visuelles Vorstellungsvermögen voneinander trennen zu lassen.
Quellen:
[1] Bainbridge, W. A., Pounder, Z., Eardley, A. F., & Baker, C. I. (2021). Quantifying aphantasia through drawing: Those without visual imagery show deficits in object but not spatial memory. Cortex, 135, 159-172.
Hallo :)
Eine wirklich interessante Fragensammlung. Ich gehe bei solcherlei kreativen Dingen immer gleich vor: ich rechne. Zwar fehlen die Bilder in meinem Kopf vollständig, dennoch weiß ich (wie in einer Art Audiodatei, die ich abrufen kann) wie die Längen und Winkel zueinander stehen. Auf diese Art gehe ich auch bei anderen kreativen Aktivitäten vor, beispielsweise beim Zimmer einrichten. Ich sehe es nicht bildlich vor mir, aber ich weiß, dass meine Wand 3,5 m lang ist, daran kann ich meinen 2 m langen Schrank stellen. Und weil dann zu wenig Platz für das Regal längs (2 m) sein wird, stelle ich dieses quer (50 cm) ins Zimmer hinein. Der Durchgangsweg zwischen Bett und Regal beträgt auf diese Art noch ca. 70 cm, was für mich reicht. Das waren einige meiner Gedankengänge vor einigen Wochen.
Mein Freund und meine Familie gehen ganz anders vor... Aber ich glaube nicht, dass sie es besser hinbekommen hätten. :p
Rechnen hilft mir immer weiter. :)
Ich habe mich nach der Schulzeit lange nicht mit Kunst im Sinne von Bildern beschäftigt, auch wenn ich gern (und zu selten) Musik mache, obwohl ich im Kopf nichts davon hören kann.
Anfang dieses Jahres bin ich über "Urban Sketching" gestolpert und habe darüber Interesse an Aquarellmalerei entwickelt. Zu viel Zeit kann ich nicht viel Zeit investieren, aber zum Prozess lässt sich so weit schon mal Festhalten:
Bilder werden logisch "konstruiert". Wo sollen welche Objekte hin (Perspektive mit Fluchtlinien, ...), was verdeckt was, welche Lichtfarbe gibt es (warmer Sonnenuntergang, etc.), wo fallen Schatten hin und so weiter. Ich habe den Eindruck, dass das ganz gut funktioniert.
Beim Urban Sketching sollen Linien (in dem Fall wasserfeste Tinte) ja auch gar nicht perfekt sein und realistisch ist ohnehin nichts, was eine feste Rahmenlinie hat. Das nimmt Anspruch aus der Sache und erleichtert den Einstieg. Geschätzt habe ich aber erst 30 bis 40 Stunden in das Thema gesteckt, und das verteilt über die letzten 9 Monate - da ist meine Erwartungshaltung nicht allzu hoch. Das Bild im Querformat ist mal ein Beispiel für das Urban Sketching, in dem Fall eine reale Häuserfront anhand eines Fotos abgemalt. Habe aber ähnliches auch schon konstruiert.
Menschen und Tiere habe ich bislang weder gezeichnet noch gemalt und würde daran sicher recht eindrucksvoll scheitern. Das mal zu üben steht aber auf der imaginären ToDo Liste und ich habe keine Zweifel, dass ich das mit etwas Zeit lernen kann. Gerade bin ich erstmal dabei zu Malen ohne die Tintenlinien im Bild zu haben.
Das hochformatige Bild ist z.B. aus der Idee "Beton vs Mensch und Natur"entstanden und hat keine Vorlage. Mein Fokus lag darauf zu lernen Wasserflächen zu malen. Entsprechend stiefmütterlich sind Himmel, Bäume und Kind angegangen worden (Zeit... Ich wollte fertig werden und hatte nicht je Thema 3 Stunden um zumindest die Grundzüge an anderer Stelle zu üben...). Dass die Reflexion der Mauer versetzt ist... Ich wurde abgelenkt und bei Aquarellfarbe ist die Zeit von Bedeutung. Entweder hätte ich eine hässliche Kante gehabt, oder halt eine unpassende Reflexion. Passiert.
Zeichnen oder malen kann ich leider überhaupt nicht - dafür arbeite ich sehr gerne mit Textilien - Wolle spinnen, stricken, weben, nähen und dergleichen. Außerdem bastle ich auch gerne mit anderen Materialien.
Auch wenn ich nicht zeichnen kann, habe ich damit zumindest auf deine dritte Frage eine Antwort: Die Rahmenbedingungen konstruiere ich vorher rein logisch - eine Decke soll bei mir meist eine bestimmte Größe haben, ein Kleidungsstück muss der Person passen, für die es bestimmt ist - das ist für mich alles komplett "unkreativ" und rein logische Designarbeit. Wenn es dann allerdings um den kreativen Prozess geht, dann entsteht alles während des Schaffens aus dem Gefühl heraus. Manchmal gibt es ein paar Vorgaben (z.B. wenn es spezifisch ein grün-goldenes Kleid werden soll), aber darüber hinaus weiß ich vorher nicht, was entsteht, sondern lasse meine Finger von meinem Gefühl leiten.
Ich glaube schon, dass ich ganz gut malen und zeichnen kann. Zumindest wenn ich etwas vor mir sehe. ich war auch immer gut in Geometrie. Das musste ich nicht lernen, ich konnte es einfach und habe damit meine Mathe Note gerettet. Rechnen kann ich nämlich nicht.
Ich selbst betrachte mich, was Zeichnen und Malen angeht, auf dem Stand eines Zweijährigen, kriege ich doch kaum mehr als ein Strichmännchen produziert.
Was mich allerdings sehr erstaunt hat: Im Kunstunterricht in der Schule sollten wir mal ein Stillleben zeichnen. Ich habe mich für einen Zinnbecher entschieden. Natürlich hätte ich ihn nicht aus dem Kopf zeichnen können, aber als er direkt vor mir stand, habe ich das erstaunlich gut hinbekommen. Ich mache die einfachen, geometrischen Strukturen des Bechers dafür verantwortlich, dass das recht gut geklappt hat.
Mittlerweile bin ich auf die englischsprachige Facebookgruppe "The Aphantasia Artist (Art Group for Image Blind Creators)" Dank der Verlinkung hier im Forum gestoßen. Mal schauen, was sich dort alles so zeigen und offenbaren wird.